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Andrea und ihr besonderer Weg zum Wunschkind

Autorenbild: Sarah BauernhoferSarah Bauernhofer

Aktualisiert: 17. Sept. 2024

Draußen liegt der Himmel schwer und das Grau des Tages vermischt sich mit den Regentropfen, die sanft gegen die Fensterscheiben prasseln. Im warmen Esszimmer von Andrea Kollmann in Graz-Umgebung herrscht eine beinahe familiäre Atmosphäre. Andrea, 46 Jahre alt, Personalentwicklerin und Lebens- und Sozialberaterin, sitzt mir gegenüber. Zwischen uns dampft eine Tasse Cappuccino und während draußen der Regen beständig niedergeht, entfaltet sich drinnen eine zutiefst bewegende Geschichte. Andreas Geschichte als Adoptivmama, die vor drei Jahren begann.

Herzens-Mama Andrea Kollmann WARUM ADOPTION MEHR IST ALS NUR EIN "PLAN B"

Das Gespräch verläuft offen und ehrlich, doch gleich zu Beginn passiert mir ein Fauxpas. Als wir beginnen über ihr Leben als Adoptivmutter zu sprechen, rutscht mir die Frage heraus: „Kannst du keine Kinder bekommen?“ Andreas Blick verändert sich schlagartig und sofort realisiere ich, dass ich in ein Fettnäpfchen getreten bin. „Sarah, das war nicht angebracht“, denke ich. Und Andrea macht mir das auch sofort klar. Ohne Vorwurf, aber mit einer ruhigen, festen Stimme.


„Es ist tatsächlich übergriffig“, erklärt sie. Ich entschuldige mich und versuche, zu erklären, dass viele Menschen genau diese Annahme als Erstes haben. Andrea weiß das nur zu gut und fährt fort: "Eine Adoption ist auf jeden Fall eine bewusste Entscheidung. Manche können keine eigenen Kinder bekommen, manche wollen nicht. Es spielt keine Rolle. Hauptsache, man findet sich.“


Ich nehme mir ihre Worte zu Herzen und lasse sie in mir wirken. Wie oft urteilt unsere Gesellschaft vorschnell? Wie oft gehen wir davon aus, dass Adoption nur der letzte Ausweg sei? Dabei ist es doch eine Entscheidung, die voller Verantwortung und Fürsorge getroffen wird. Andrea spricht offen über das Stigma der Unfruchtbarkeit. Sie erzählt mir, dass es bei Männern genauso wie bei Frauen ein Thema ist, das oft im Stillen ertragen wird. Dieses Stigma, sagt sie, verhindert oft, dass Adoptiveltern offen über ihre Entscheidung sprechen. „Viele fürchten, als ‚Plan B‘ gesehen zu werden, weil sie keine biologischen Kinder bekommen konnten. Doch es gibt so viele Gründe, ein Kind zu adoptieren“, erklärt sie.


Während unserem Gespräch werde ich mit einem leckeren Cappuccino und einem Nusskipferl von Andreas Schwager, der eine bäuerliche Backstube betreibt, verwöhnt.


VOM EINZELWEG ZUM GEMEINSAMEN ABENTEUER

Andrea war schon immer von dem Gedanken erfüllt, ein Kind zu adoptieren. Als Singlefrau hatte sie sich daher mutig dazu entschlossen, sich auf die Liste der Adoptiveltern setzen zu lassen. Die Vorstellung, einem Kind ein Zuhause und eine liebevolle Familie zu bieten, war tief in ihrem Herzen verankert, auch ohne Partner an ihrer Seite. Doch das Leben hatte andere Pläne für Andrea. Durch eine Arbeitskollegin lernte sie Hannes kennen. Was als zufälliges Verkuppeln begann, entwickelte sich zu einer tiefen, erfüllenden Beziehung. „Es hat einfach geklappt“, erinnert sich Andrea mit einem Lächeln.


Während eines gemeinsamen Aufenthalts in Amsterdam sprach Andrea das Thema Adoption offen an und vertraute sie Hannes ihre Pläne an. Sie erzählte ihm, dass sie sich bereits als Singlefrau auf die Warteliste der Adoptiveltern hatte setzen lassen. Es war ein bedeutender Moment in ihrer Beziehung, der alles verändern könnte. Kurz danach wurde aus einer mutigen Singlefrau, die bereit war, das Abenteuer Adoption allein anzugehen, eine Frau, die nun gemeinsam mit ihrem Partner diesen besonderen Weg beschreiten würde. Nicht mehr alleine, sondern als Paar, als Team.


Die heimelige Atmosphäre im Hause Kollmann in Graz-Umgebung ist hinter jeder Tür spürbar.


ADOPTION ALS AKT DER LIEBE Die 46-Jährige spricht mit einer bewundernswerten Klarheit und Leidenschaft darüber, wie beschämend das Thema Adoption oft behandelt wird, sowohl für die leiblichen Mütter als auch für die Adoptiveltern. „Die Gesellschaft neigt auch dazu, die leiblichen Mütter zu verurteilen, die sich entscheiden, ihr Kind zur Adoption freizugeben“, sagt sie. „Doch es ist ein Akt der Fürsorge, kein Akt der Ablehnung. Diese Frauen handeln aus einer tiefen Überzeugung heraus, dass sie ihrem Kind etwas Besseres ermöglichen wollen, als sie selbst geben können. Aber die Gesellschaft sieht das nicht immer so.“

Sie macht mir außerdem bewusst, wie tief die Scham oft auch die Kinder betrifft. „Kinder, die adoptiert wurden, fühlen unbewusst: ‚Ich bin hergegeben worden.‘ Auch wenn sie es nicht in Worte fassen können, spüren sie es auf einer tiefen, energetischen Ebene.“ Für Andrea ist es die Aufgabe der Adoptiveltern UND der Gesellschaft, diese Scham zu entkräften und den wahren Kern von Adoption in den Mittelpunkt zu stellen: einem Kind ein Zuhause zu geben, in dem es geliebt und geborgen ist.

Der Garten der Familie Kollmann: Theodor hat hier viel Platz zum Toben und kann sich frei entfalten. EIN ANRUF, DER ALLES VERÄNDERTE Nun haben wir den schönsten Punkt unseres Gesprächs erreicht. Mein Körper ist von Gänsehaut überzogen und Tränen füllen meine Augen, als ich Andreas Strahlen sehe, während sie den Tag schildert, an dem ein einziger Anruf sie zur Mama machte.


„Es war früh am Morgen, ungefähr um 9 Uhr“, beginnt Andrea, ihre Stimme zitterte leicht vor Freude. „Ich war zu Hause, und mein Mann Hannes im Büro. Dann kam der Anruf: ‚Grüß Gott, Frau Kollmann, Sie sind bereit, Eltern zu werden? Ein gesunder Junge wurde gestern geboren. Können Sie heute noch kommen?‘“


Andrea hält kurz inne, ihre Augen glänzen, während sie den Moment noch einmal durchlebt. „Das größte ‚Ja‘ meines Lebens“, sagt sie lächelnd. „Ich war wie gelähmt vor Aufregung. In dem Moment zählte nichts mehr außer dieser Nachricht.“ Ihr Mann, der sonst der Fels in der Brandung ist, war völlig aus der Fassung. „Es hat ihn umgehauen, er war durcheinander. Plötzlich, nach 7 Jahren Wartezeit, war es real.“


Sie erzählt weiter, wie schnell nun alles ging. Es war Corona-Zeit, was die Situation ein wenig kompliziert machte. „Wir kamen ins Krankenhaus, aber wegen der Sicherheitsbestimmungen durften wir nicht sofort rein. Ein Sicherheitsmann sagte, wir stünden nicht auf der Besucherliste.“ Doch dann, als sie erklärten, dass sie die Adoptiveltern waren, änderte sich alles. „Er ließ uns sofort rein. Wir hatten plötzlich die volle Aufmerksamkeit. Ein Arzt, Schwestern, Sozialarbeiter, alle waren da, um uns zu begleiten. Es war, als ob die ganze Welt sich in diesem Moment auf uns konzentrierte.“


Andrea beschreibt mir den Moment, als sie Theodor zum ersten Mal sah: „Da lag er, so klein und verletzlich. Du kannst die Augen nicht mehr von ihm abwenden. Die Bindungshormone schießen ein und in dem Moment verschwindet alles andere um dich herum. Du hast dein Kind in den Armen und es ist die ganze Welt.“


In den ersten drei Nächten nach der Geburt konnte Andrea aufgrund der Corona-Bestimmungen nicht bei Theodor im Krankenhaus bleiben. „Es hat mir das Herz zerrissen, von ihm wegzugehen. Tagsüber war ich da, aber nachts durfte ich nicht bleiben.“ Heute weiß sie, dass sie das aus Bindungsgründen nie wieder tun würde. „Es tat so weh, ihn zurückzulassen. Wenn ich damals gewusst hätte, wie tief diese ersten Momente sind, hätte ich gekämpft, um bei ihm zu bleiben.“


EMOTIONALE HOCHS UND TIEFS

Andrea Kollmann, die ihren Sohn Theodor adoptiert hat, beschreibt diese Zeit als eine der emotional herausforderndsten Phasen ihres Lebens. „Nach der Geburt dauerte es insgesamt 8,5 Monate, bis wir die endgültige rechtliche Sicherheit hatten“, erzählt sie. „In diesen Monaten ändert sich der Fokus. Du schaust dein Kind an, du berührst es, die Bindung wächst mit jedem Tag, aber du hast keine Rechtssicherheit.“ Diese Phase der Unsicherheit ist besonders belastend. Andrea beschreibt die schmerzhaften Fragen, die sich ihr immer wieder stellten: „Wie können wir eine Familie sein? Dürfen wir überhaupt als Familie zusammenbleiben?“ Die ständige Ungewissheit nagt an den Adoptiveltern, während sie versuchen, dem Kind die Stabilität und Liebe zu geben, die es braucht.


Obwohl die Bindung zu Theodor von Tag zu Tag stärker wurde, blieb die Angst, ihn möglicherweise wieder zu verlieren, allgegenwärtig. Erst nach Ablauf der gesetzlichen Frist (6 Monate) und dem Abschluss des Adoptionsprozesses (2,5 Monate) hatten Andrea und ihr Mann Hannes die rechtliche Gewissheit, dass Theodor für immer Teil ihrer Familie bleiben würde. „In dem Moment, als wir endlich die rechtliche Bestätigung hatten, war es, als würde eine riesige Last von uns abfallen. Erst dann konnten wir wirklich frei atmen und wussten, dass wir eine vollständige Familie sind“, erinnert sich Andrea mit Erleichterung.


Bei Familie Kollmann wird gelebt und geliebt, davon zeugt nicht nur das viel bespielte und bunte Wohnzimmer


WIE THEODOR BEHUTSAM SEINE GESCHICHTE ENTDECKT Jetzt ist Theodor drei Jahre alt und mich interessiert, ob er seine Geschichte bereits kennt. Ja, das tut er. „Wir haben immer offen neben ihm über seine Geschichte gesprochen, auch wenn Besuch da war. Mit 1,5 Jahren habe ich angefangen, ihm seine Geschichte mit der Bärenfamilie zu erzählen“, sagt Andrea. Die Bärenfamilie besteht aus dem leiblichen Mamabär, dem leiblichen Papabär, dem Mamabär (Andrea), dem Papabär (Hannes) und dem Babybär, der Theodor repräsentiert. „Immer, wenn ich das Gefühl hatte, es sei der richtige Moment, habe ich die Geschichte erzählt. Aber bald war es Theodor, der die Bären holte und hören wollte, wie es weitergeht. Er hat selbst bestimmt, wann er seine Geschichte hören wollte.“Neben der Bärenfamilie nutzt Andrea auch Adoptionsbücher, um Theodor auf behutsame Weise in seine Herkunft heranzuführen. Doch die Geschichte mit der Bärenfamilie hat sich besonders tief in ihren Alltag integriert.

Die Bärenfamilie als Element einer stress- und traumabewussten Erziehungsform, von der ich heute das erste Mal höre.


Die Bären begleiten Theodor bei allem, was er tut. „Sie gehen mit uns schlafen, sie stehen mit uns auf. Sie sind immer bei ihm im Bett. Das ist Teil seines Ursprungs und wir akzeptieren das als festen Bestandteil seines Lebens“, sagt Andrea. Es gab nie einen „Tag X“, an dem die große Wahrheit offenbart wurde. Stattdessen hat sich alles organisch und mit viel Liebe und Sensibilität entwickelt. „Wir haben eine stress- und traumabewusste Erziehungsform gewählt und so hat sich unsere Familiengeschichte Stück für Stück entfaltet.“ Für Andrea und ihre Familie ist dieser Prozess nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Bereicherung. Theodor soll nicht eines Tages plötzlich mit einer „großen Wahrheit“ konfrontiert werden. Stattdessen wächst er in einem Umfeld auf, das seine gesamte Geschichte umfasst und würdigt und genau das macht ihn vollständig.


„Es ist kein Widerspruch, dass wir seine Eltern sind und dass seine leiblichen Eltern immer Teil seines Lebens sein werden. Wir haben sogar einen Brief für seine leibliche Mutter hinterlegt. Das ist unsere innere Haltung: Wir sind Theodors Eltern, aber wir akzeptieren sein gesamtes Ursprungsystem.“

WISSEN UND OFFENHEIT ALS SCHLÜSSEL

Andrea weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, sich als Adoptivmama intensiv auf die Bindung zu konzentrieren. „Es gibt keinen Elternratgeber, der einem alles beibringt, was man wissen muss. Aber für zukünftige Herzens-Eltern ist es essenziell, sich so viel Wissen wie möglich anzueignen. Über bindungsorientierte Erziehung, stress- und traumabewusste Erziehung.“ Sie hat unzählige Bücher gelesen, Seminare besucht und Podcasts gehört, bis sie, wie sie selbst sagt, „umgefallen“ ist. „Heute kann ich andere Eltern in diesen Bereichen sogar selbst schon unterstützen“, fügt sie hinzu und betont, wie wichtig es ist, sich umfassend auf die besonderen Bedürfnisse eines Adoptivkindes vorzubereiten.


In der Steiermark gibt es nur wenige Anlaufstellen für Adoptiveltern, was Andrea und ihren Mann Hannes dazu bewegt hat, sich intensiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Ihre Erfahrungen und ihr Wissen teilen sie nun mit anderen, um ihnen zu helfen, den Weg der Adoption mit mehr Sicherheit und Unterstützung zu gehen. Mehr dazu unter www.herzens-eltern.at




FÜREINANDER BESTIMMT Andrea ist überzeugt: Ihr kleiner Theodor, ihr Mann Hannes und dessen Sohn aus erster Ehe, sie alle sind füreinander bestimmt. „Man findet sich“, sagt sie mit einem Lächeln. Dieser Satz bleibt mir im Gedächtnis. Es ist das perfekte Fazit für eine Familie, die durch die Liebe zusammengeführt wurde. Für Andrea war Theodor die Vollendung. „Hannes und sein Sohn waren schon eine Familie für mich, aber Theodor hat unser Familiensystem perfekt gemacht."


Eine erfüllte Kindheit voller Liebe, mit Spielküche und Bobbycar – Theodors kleines Reich


Am Ende unseres Gespräches sitze ich da, voller Bewunderung für Andreas Stärke und ihre tiefe Liebe zu ihrem Sohn und ihrer Familie. Ich bin dankbar, dass sie mir erlaubt hat, einen so persönlichen Einblick in ihr Leben zu bekommen. Ihre Worte hallen nach: „Es geht nicht darum, wie ein Kind in dein Leben kommt. Ob biologisch oder durch Adoption. Es geht nur darum, dass man es liebt.“


Andrea ist eine Frau und (Herzens)Mama, die nicht nur den Mut hatte, einen herausfordernden Weg zu gehen, sondern auch die Kraft hat, diesen Weg mit anderen zu teilen und sie zu inspirieren. DANKE FÜR DIESE #HERZBEWEGENDE BEGEGNUNG! #vmzm


Relevante Randinformationen zur anonymen Geburt:

Bei einer anonymen Geburt kennt weder das medizinische Personal die Mutter, noch wird ihre Identität offengelegt. Der Prozess läuft diskret ab: Die Frau kommt ins Krankenhaus und wird unter einem Pseudonym aufgenommen. Sie wird medizinisch vollständig versorgt, genau wie bei jeder anderen Geburt. Nach der Entbindung, in der Regel nach einigen Stunden, kann die Mutter, wenn sie sich fit fühlt, das Krankenhaus wieder verlassen, ohne ihre Identität preiszugeben. Bei einer anonymen Geburt hat die Mutter bis zu sechs Monate Zeit, ihre Entscheidung zu überdenken und das Kind zurückzufordern.

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5 Comments


Guest
Sep 22, 2024

Soooo, so schön ❤️

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Guest
Sep 18, 2024

Großartig geschrieben, das muss man mal so gut verpacken. Und die Frau ist spitze, Hut ab.

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Guest
Sep 18, 2024

So eine schöne Geschichte... wirklich herzbewegend.

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Guest
Sep 18, 2024

Wunderschön geschrieben.

Andrea ist eine Mama,die sich jedes Kind nur wünschen kann.Eine ganz starke Frau.

Und ihre Worte gehen sowieso unter die Haut.

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Guest
Sep 17, 2024

Wunderwunderschön!!! ❤️

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